Gefesselt im Altenheim?

Wie hat sich die Qualität in der Pflege, zum Beispiel bei der Ernährung und Flüssigkeitsversorgung, beim Umgang mit Menschen mit Demenz oder bei der Vermeidung von Druckgeschwüren, in den letzten Jahren entwickelt? Um diese Fragen zu beantworten, hat der Medizinische Dienst des GKV-Spitzenverbandes (MDS) die Daten von mehr als 100.000 Pflegebedürftigen für den dritten Pflege-Qualitätsbericht ausgewertet und veröffentlicht.

Und sofort melden sich dann nach den sachlich dargestellten Fakten „Unberufene“ und „Selbstberufene“ aus diversen Verbänden mit vermeintlichen Kenntnissen der Situation, bezweifeln die Daten des MDS und verweisen auf eine ja noch höhere Dunkelziffer. Ein mieses Beispiel hierfür: «42 Prozent der Menschen in Pflegeheimen leben unter freiheitsentziehenden Maßnahmen»,  so der Vorstand der selbsternannten  sogenannten Patientenschutzorganisation „Deutsche Hospizstiftung“. Diese unsachlichen und nicht begründeten Statements führen nicht nur zu einer Abwertung der Mitarbeiter, welche täglich mit hohem Engagement und Einfühlungsvermögen die Anvertrauten versorgen, sondern erzeugen bei den Betroffenen und Angehörigen unnötige und unbegründete Ängste für den Fall, dass die Versorgung in einer stationären Einrichtung erforderlich wird. Dies ist nicht nur unmoralisch, sondern es wird dem sensiblen Thema in keiner Weise gerecht.

Und die Medien nehmen diese faulen Socken dann gerne auf und zeigen der sich empörenden Gesellschaft an: “Missstände in Pflegeheimen: Senioren ans Bett gefesselt”, so die Westdeutsche Zeitung, oder ganz dramatisch im Kölner Stadtanzeiger: “Jeder fünfte wird gefesselt.”

Tatsache ist: In Einzelsituationen ist zum Schutz des Betroffenen eine Beschränkung der Freiheit erforderlich. Das ist eine Realtät des Lebens und auch des Alterns. Diese hat mit höchster Sensibilität und unter Abwägung aller Perspektiven zu erfolgen. Eine solche Freiheitsbeschränkung ist immer nur im Rahmen eines vormundschaftlichen Genehmigungsverfahrens  zulässig. Diese Freiheitbeschränkung findet dann aber nicht durch „Fesseln und Knebeln“ statt, sondern durch eine Einschränkung des Aktionsradius, durch etwa eine Bettranderhöhung beim bettlägerigen Kranken, oder eine Sicherung im Rollstuhl, die der Betroffene dann nicht ohne Hilfe öffnen kann. Und diesen Eingriff in das Leben des Pflegebedürftigen vorzunehmen, tut jedem gewissenhaften Mitarbeiter wirklich weh! Dennoch bleibt er in Sonderfällen auch erforderlich.

Eins solche Maßnahme ohne Abstimmung mit Betreuer und Gericht ist ein Straftatbestand und damit ein Fall für den Staatsanwalt. Es gibt mit aller Konsequenz zu verfolgende Einzelfälle, aber diese bilden nicht die gängige Praxis ab.

Das Recht umfänglicher Freiheit steht aber auch dem Anspruch der Gesellschaft, der Angehörigen, der Krankenkassen und der Rechtsprechung auf einem Schutz vor körperlichen Schädigungen (durch z.B. Stürze) gegenüber. In diesem Spannungsfeld bewegen sich die Mitarbeiter in der Betreuung der oftmals hochbetagten und demenzkranken Menschen.

Durch eine Vielzahl von Hilfsmitteln versuchen Mitarbeiter und Leitungen die Notwendigkeit der die Freiheit beschränkenden Maßnahmen zu reduzieren: durch Betten die auf bodentiefes Niveau gesenkt werden können, durch Hosen mit Protektoreneinsätzen und, man es es ja kaum glauben, auch durch intensive Einzelbetreuungen.

Daher ist zu fragen ob die eigenwillige Gemeinschaft von MDS-Vertretern, Skandalverbänden und Presse tatsächlich an einer Verbesserung der Situation in der Pflege interessiert ist, oder doch nicht eher an der eigenen Bestandsberechtigung  („Die Wächter“) und Ablenkung vom eigentlichen Problem.

Nicht erforderliche „freiheitsentziehende Maßnahmen“ und mangelnde Ernährung oder Flüssigkeitszufuhr sind eindeutige Zeichen einer unzureichenden Versorgung durch das Personal. Die ständige Beaufsichtigung von sturzgefährdeten Bewohnern wie auch die Verabreichung von Nahrung und Flüssigkeit bei Bewohnern mit Einschränkungen oder die regelmäßige Lagerung benötigen einen hohen Zeitaufwand, der in der Pflegeversicherung  und von den Medizinischen Diensten der Krankenkassen bisher nicht anerkannt wird. Längst ist wissenschaftlich belegt, dass sich die daraus ergebenden Mängel in der Regel auf einen Zeitmangel des Personals zurückführen lassen.

„Eine Verbesserung der Versorgungsqualität wird nicht ausschließlich durch Erhöhung der Qualitätsstandards und vermehrte Prüfungen erreicht, wenn sich nicht die Arbeitsbedingungen für die Pflegekräfte verbessern“, so der Deutsche Pflegerat. Das ist eine wirklich unterstützenswerte Aussage! In dem vom Bundesminister Daniel Bahr geplanten Pflegeneuausrichtungsgesetz findet sich aber kein Hinweis auf diese Problemlage.

Aber damit würde ja auch nicht einfach mit Finger auf die schlechten, bestenfalls bedauernswerten Mitarbeiter oder die gewissenlosen Heimleitungen gewiesen werden, sondern auf die unzureichende Finanzierung der Pflege und die notwendige Verbesserung der Arbeitssituation in Pflegeberufen. Also damit auf die Verantwortlichkeit von Politik und Gesellschaft, sich ernsthaft mit der dauerhaften und ausreichenden Finanzierung der Pflege befassen zu müssen!

 

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