Nennt mich ruhig behindert, aber haltet mich nicht für blöd“

Maria Hanisch, leitet im Geschäftsfeld Alter und Pflege die Stabsstelle Ethik, Seelsorge und gesundheitliche Versorgungsplanung

Mit diesem Slogan einer Postkartenaktion fordert der DPWV seine Mitglieder auf gegen das neue Bundesteilhabegesetz der Bundesregierung zu protestieren. Auch der Bundesverband der Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie (CBP) gibt zum Vorhaben der Regierung folgende Stellungnahme ab:

Die Ziele der Bundesregierung
– Das Bundesteilhabegesetz ist in der 18. Legislaturperiode der Bundesrepublik Deutschland eines der großen sozialpolitischen Gesetzesvorhaben der Bundesregierung und soll ab dem 1.1.2017 in einem ersten Schritt in Kraft treten.
– Das Neunte Sozialgesetzbuch (SGB IX) wird dazu novelliert und die „Eingliederungshilfe“ – als das entscheidende Leistungspaket für Menschen mit Behinderung – aus dem Zwölften Sozialgesetzbuch (SGB XII) in das Neunte Sozialgesetzbuch überführt. Menschen mit Behinderung sollen nicht mehr länger nach dem „Fürsorgeparadigma“ behandelt werden.
– Mit dem Gesetz will die Bundesregierung die Ziele der UN-Behindertenrechtskonvention (seit 2009 in Deutschland in Kraft) umsetzen.
– Das Gesetz soll die Unterstützungsleistungen für viele Menschen mit Behinderung verändern. Von großen Veränderungen sind u.a. rund 200.000 Menschen mit Behinderung betroffen, die heute in Einrichtungen der Eingliederungshilfe leben.
– Für Beschäftigte in Werkstätten für Menschen mit Behinderung (derzeit ca. 300.000) soll es stärkere Anreize zum Wechsel auf den allgemeinen Arbeitsmarkt geben.
– Die Leistungen sollen sich an den Bedarfen der einzelnen Person und nicht am Ort der Leistung orientieren (Stichwort: Personenzentrierung).
– Die bisherigen Komplexleistungen (Unterkunft/Verpflegung und Betreuung) der Eingliederungshilfe in stationären Settings nach SGB XII werden aufgeteilt in Leistungen der Grundsicherung und in Leistungen der Teilhabe.
– Für Menschen mit Behinderung im häuslichen Umfeld, die einen Pflegebedarf haben, sollen die Leistungen der Pflegeversicherung vorrangig beansprucht werden.
– Mit dem Gesetz will die Bundesregierung die Ausgabendynamik bei den Kosten der Eingliederungshilfe deutlich bremsen. Die Eingliederungshilfe ist aktuell innerhalb der Sozialhilfe der größte Kostenfaktor mit derzeit rund 800.000 Leistungsempfängern und jährlich Nettoausgaben in Höhe von 15 Mrd. €.

Kritik des CBP am Gesetzesentwurf
– Das Gesetz wird die Teilhabechancen von vielen Menschen mit Behinderung und mit psychischen Erkrankungen, insbesondere mit Schwerst- und Mehrfachbehinderung kaum verbessern, da für die Ermittlung des individuellen Hilfebedarfs unzureichende Instrumente vorhanden sind und die Vergütungen von Leistungen weiterhin pauschal erfolgen sollen.
– Durch neue Kriterien für den Zugang zu Leistungen der Eingliederungshilfe drohen für die Menschen mit Behinderung große Verschlechterungen und ggfs. der Ausschluss von Leistungen.
– Es besteht die Gefahr, dass Menschen mit Behinderung unabhängig vom Lebensalter in Pflegeeinrichtungen gedrängt werden, wenn deren Pflegebedarf steigt.
– An einigen wesentlichen Punkten verfehlt das Bundesteilhabegesetz die Zielvorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention deutlich, z.B. bei: Stärkung der selbstbestimmten Teilhabe, Erweiterung der Wunsch- und Wahlfreiheiten, Sicherung der qualifizierten Assistenz um einen gleichberechtigten Zugang zu Bildung-, Arbeits-, Gesundheits-, Pflege- und Kulturleistungen zu erhalten.
– Die steigenden Kosten der Eingliederungshilfe ist eine bedeutsame Solidarleistung der Gesellschaft. Diese ist für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft eminent wichtig und darf deshalb nicht aufgeweicht werden.
– Das Bundesteilhabegesetz klärt die dringend nötige Abgrenzung zwischen Pflegeleistungen und Teilhabeleistungen nicht und versäumt eine Priorisierung der Leistungen zur Teilhabe von Menschen mit Behinderung.
– Zudem können durch das parallel von der Bundesregierung voran gebrachte Dritte Pflegestärkungsgesetz Menschen mit Behinderung durch die Einführung einer erweiterten Kostendeckelung im § 43a SGB XI massive Leistungskürzungen im Bereich der Pflegeleistungen erfahren.
– Das Bundesteilhabegesetz stattet den Leistungsträger mit mächtigen neuen Instrumenten der Steuerung und Kostenkontrolle aus: u.a. gesetzliches Prüfrecht, externer Vergleich und Kürzung der Vergütungen. Angesichts der schon jetzt umfänglichen Prüf- und Kontrollinstrumente der Leistungsträger und Heimaufsichten ist zu befürchten, dass es nicht um Kontrolle der Leistungsqualität und –menge geht, sondern um die Durchsetzbarkeit von Kostenreduktion und Standardabsenkungen.
– Die geplante Trennung der bisherigen Komplexleistungen in einerseits Leistungen der Grundsicherung und zum Lebensunterhalt und in andererseits Teilhabeleistungen lässt viele Spielräume, die zu Lasten der Menschen mit Behinderung, deren Familien und den Leistungserbringern gehen werden, da die verankert ist. Offen sind beispielsweise die Kosten für behinderungsbedingte Mehraufwendungen, die weder bei der Grundsicherung noch von der Eingliederungshilfe getragen werden.
– Das Gesetz hebelt den Anspruch auf bundesweite einheitliche Leistungsgewährung im Sinne grundrechtlich gesicherter und gebotener Herstellung von gleichwertigen Lebensverhältnissen nach Art. 72 Abs. 2 GG auf, in dem die Träger der Eingliederungshilfe in Bundesländern neue gesetzlich verankerte Abweichungsklauseln für die örtliche Leistungsgestaltung erhalten.

Die Forderung
Der Bundesverband Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie e.V. (CBP) und seine Mitglieder fordern ein Bundesteilhabegesetz, das Menschen mit Behinderung und psychischen Erkrankungen deren Rechtsansprüche und Nachteilsausgleiche auf Teilhabe, Unterstützung, Hilfe, Pflege und Selbstbestimmung verlässlich garantiert. Deshalb muss am Bundesteilhabegesetz deutlich nachgebessert werden. Für die vom Gesetz betroffenen Menschen und deren Familien, die täglich auf umfassende Sozialleistungen angewiesen sind, steht sehr viel auf dem Spiel.

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