Quo vadis, politische Kultur in Deutschland?

Franz Josef Strauß hat einmal gesagt: „Politik wird mit dem Kopf gemacht, nicht mit dem Kehlkopf!“

Betrachtet man die derzeitigen politischen und durchaus auch medialen bzw. öffentlichen Debatten zu diversen Themen, so könnte man meinen, dass es sich in den Zeiten der Trumps, Erdogans, Gaulands und Seehofers genau andersherum verhält. Das ist insofern bemerkenswert, als dass das Zitat von einem Politiker der CSU stammt, der selbst im verbalen Austeilen kein unbeschriebenes Blatt war. Dabei zeigt die Notwendigkeit seiner Verwendung in diesem Text eindrucksvoll, an welchem Punkt wir derzeit stehen.

Die Debattenkultur in unserem Land und darüber hinaus hat in den vergangenen Jahren in einer Art und Weise Veränderungen durchgemacht, die ich für meinen Teil als besorgniserregend, zum Teil als beängstigend empfinde. An die Stelle des sachlichen Austausches von inhaltlichen Argumenten, den (durchaus auch mit harten Bandagen zu führenden) Streit um die richtigen Konzepte und das Finden eines gemeinsamen Kompromisses zur Lösung gesellschaftlicher Problemlagen und Herausforderungen ist eine andere Kultur getreten: Sie ist geprägt von persönlichen Beleidigungen, dem Aufbauschen oder sogar der Schaffung falscher Zahlen und Statistiken und einer Verrohung der Sprache, die ich als höchst abstoßend empfinde. Gepaart mit der (offenbar salonfähig gewordenen, weil auch in den so genannten etablierten Parteien praktizierten) Hexen- oder Sündenbockjagd, der (offensichtlichen) Lüge und dem Agieren von „Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt“-Politikern a lá Trump, Orban, Morawiecki, Conte und Seehofer ergibt sich eine explosive Mischung, die die Werte unserer Demokratie und des europäischen Zusammenhaltes nicht nur infrage stellt, sondern bereits begonnen hat, zu erodieren. Der europäische Rechtsruck im Rahmen der jüngsten Flüchtlingsdebatten ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür.

Aber selbst auf kommunaler Ebene sind die Gräben tief: Ging man noch vor einigen Jahren nach der Sitzung des Stadtrates gemeinsam und über Parteigrenzen hinweg ein Glas Bier trinken, so befindet man sich heute in einer Situation, die geprägt ist von Misstrauen, ideologisch hoch aufgeladenen Positionen und der Abwertung und Ablehnung von Inhalten, nur weil sie einer anderen Parteifarbe entstammen. Kompromisse? Fehlanzeige oder zumindest hochgradig schwierig. Einige Kölner Beispiele zeigen das sehr deutlich.

Zum Teil begegnet man in der politischen Debatte zudem einem Tonfall, der nicht anders als voll von Hetze und Hass zu beschreiben ist, inklusive der persönlichen Diffamierung Anderer (oder Andersdenkender). Auch das scheint zunehmend salonfähig und ist längst nicht mehr eine Eigenart (rechts-)extremer Parteien.

Gleichzeitig ist die Schuld dafür aber nicht nur bei Politiker*innen zu suchen. Auch die Medienlandschaft in diesem Land trägt ihren Teil zu dieser Entwicklung bei: Die ungefilterte  Übernahme der extremen Tonlage der Sprache bzw. von Begrifflichkeiten ist hier ein Beispiel. Aber auch qualitativer Journalismus, Themenvielfalt und ordentliche Recherche mit der Beleuchtung aller Aspekte einer Debatte treten in den Hintergrund. Stattdessen werden Berichte einseitiger, durchaus zunehmend geprägt von einer Durchmischung aus objektiver Berichterstattung und Meinung (wobei die Meinungsmache und Kommentierung in einigen Medien die Überhand zu gewinnen scheint) und die Themen werden weitaus weniger vielfältig. Betrachtet man beispielsweise die Themen der großen Talkshows im Fernsehen, stellt man ein überproportionales Übergewicht an Flüchtlings- und Migrationsdebatten fest. Wer setzt eigentlich die gesellschaftlich relevanten Themen? Der oder die (Politiker*in) am lautesten schreien kann? Man könnte diesen Eindruck bekommen…

Natürlich muss sich aber auch jeder von uns selbst fragen: Welchen Teil leiste ist zu dieser Art von Entwicklung? Möchte ich in einer solchen Kultur leben? Nehme ich das einfach so hin? Hinterfrage ich Aussagen von Politiker*innen und Medienberichte? Bilde ich mir selbst eine Meinung auf Grundlage unterschiedlicher Quellen? Blende ich ebenfalls die Komplexität von Sachverhalten zugunsten des Wunsches nach einer „einfachen Lösung“ und der Partei oder dem oder der Politiker*in aus, „die endlich mal die Dinge regelt“? Mein Eindruck ist, dass sich (auch aus Angst vor Diffamierung durch die vielen „Trolls“ beispielsweise im Internet) zahlreiche Menschen gar nicht mehr äußern wollen, sich ins Private zurückziehen und beim Stichwort „Politik“ nur noch die Augen verdrehen. Auch Organisationen scheuen zunehmend den Konflikt und eine klare Positionierung, durchaus auch aus Angst, Pfründe zu verlieren. Beides ist nicht sehr langfristig gedacht.
Diese Entwicklungen gehen uns aber alle an: Wir müssen uns fragen, wie wir einen Beitrag leisten können, sie zu stoppen, im Idealfall umzukehren und in welcher Welt wir leben wollen und unsere Kinder leben sollen. Die Beiträge der vielen, vielen Menschen, die gegen das Polizeigesetz in Bayern und gegen populistische, ja rechte Hetze von Mitgliedern der bayerischen Regierungspartei und anderer auf die Straße gegangen sind, sind ein gutes Beispiel. Auch die Ablehnung einer Auszeichnung durch eine Nachbarschaftsinitiative, weil Horst Seehofer die Schirmherrschaft des Preises übernommen hat, ist ein klares Zeichen. Aber auch sich selbst gesellschaftspolitisch zu engagieren, kann ein wichtiger Beitrag sein.
Denn Veränderung beginnt im Kleinen, im täglichen Handeln. Was es braucht, sind Menschen, die Haltung zeigen. Haltung in jedem Bereich, in dem sie wirken: Im Beruf, im Allgemeinen, im Besonderen in den Medien, in der Politik, in der Kirche, in der Schule, im Sport, im Ehrenamt, kurzum:  Im Angesicht von Ungerechtigkeit und Diskriminierung im täglichen Leben.

Es braucht das Zeigen von Haltung für die Werte der Gesellschaft: Für Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität, für die Demokratie und den Rechtsstaat. Denn bei allen Schwierigkeiten und Problemlagen:
Mir fällt kein besseres System ein, als die Demokratie, in der wir leben. Die Alternativen kann man in vielen Staaten auf der Welt betrachten, ganz ohne einen Vergleich mit der deutschen Vergangenheit bemühen zu müssen.

Ich darf in Bayern und in den anderen Bundesländern, in denen in den nächsten Monaten Landtagswahlen anstehen, nicht wählen. Ich hoffe aber, dass die Wahlbeteiligung hoch ist und die Menschen ein klares Zeichen setzen: Gegen Hetze, gegen diese Art des politischen Umgangs miteinander und einer derartigen Debattenkultur gegenüber Andersdenkenden und ganze Bevölkerungs- bzw. Menschengruppen. Und für eine Politik, die sich wieder der Lösung der Probleme in den Ländern und der Republik widmet, die die Menschen wirklich beschäftigen: Rente, Kinderbetreuung, Bildung, Wohnraum, Klimaschutz, Digitalisierung und Integration. 

Für eine Politik, die wieder mit dem Kopf gemacht wird und nicht mit dem Kehlkopf. 

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