Die Europäische Union am Scheideweg

Ein Gastbeitrag von Mona Lachmann, Vorstandpraktikantin

Das Jahr 2019 steht im Zeichen der Europawahl. Zwischen dem 23. und 26. Mai finden in allen Mitgliedstaaten die Wahlen zum Europäischen Parlament statt.  In der medialen Berichterstattung geht man von einer ‚richtungsweisenden‘ Wahl für das Europäische Parlament und die gesamte Europäische Union aus.

Problemfelder der EU im Fokus

Im Zuge der Europawahl rücken auch vermehrt die Problemfelder der EU in den medialen Fokus: Angefangen beim Brexit, über die geringe Wahlbeteiligung, das daraus entstehende Demokratiedefizit, die Gefahr, dass der Rechtspopulismus weiter Einzug ins Parlament erhält bis hin zu Verletzungen von Rechtsstaatlichkeit in einzelnen Mitgliedstaten,  muss die Europäische Union  mit vielen Problemen kämpfen, die einen Schatten auf die Wahl werfen könnten. Während der freiwillige Austritt Großbritanniens die Europäische Union vor einige Probleme und Fragestellungen der weiteren Vorgehensweise stellt, steht für Ungarn und Polen ein Ausschluss der anderen Art im Raum, der ähnliche Fragen zur Vorgehensweise aufwirft.

Mit drastischen Verletzungen der Rechtsstaatlichkeit und Verstößen gegen die Kopenhagener-Kriterien, denen sich alle EU-Staaten beim Beitritt verpflichtet haben, stellt sich die Frage, wie und ob man Polen und Ungarn für solche Vergehen ahnden sollte. Bei einem Blick in die Europäischen Verträge wird deutlich, dass es nicht viele Handlungsoptionen gibt, denn ein etwaiger Ausschluss von EU-Staaten bei einem Verstoß gegen die Grundwerte ist in der Rechtsetzung nicht vorgesehen.  Ein mögliches Instrumentarium  für Sanktion bietet Artikel  7. Hierfür müssen entweder ein Drittel der Mitgliedstaaten, die Kommission oder das Parlament eine Begründung über die Verletzung der Europäischen Grundwerte einreichen. Nach Prüfung dieser Begründung kann dann der Rat mit einer Mehrheit von vier Fünfteln gemeinsam mit dem Parlament beschließen, dass eine Gefahr der Grundwerteverletzung vorliegt.  Um Sanktionen rechtskräftig aussprechen zu können, ist eine Einstimmigkeit im Ministerrat nötig. Anschließend können dann mit einer qualifizierten Mehrheit, ebenfalls im Rat, bestimmte Rechte des Mitgliedstaates ausgesetzt werden, so zum Beispiel das Stimmrecht.

Wir stellen also fest, Artikel sieben ist ein ganz schöner Brocken. Zusätzlich dazu ist die Einstimmigkeit im Rat die große Krux an diesem Verfahren. Im Falle von Polen und Ungarn wurde der Artikel bereits angewandt, die beiden Länder haben sich jedoch Unterstützung im Sinne eines Vetos zugesichert, sodass eine Art Immunität herrscht, solange die beiden Verfahren getrennt voneinander betrachtet werden.

Wie wünschen Sie sich die zukünftige Entscheidungsfindung?

Die Fragen, die ich mit diesem Beitrag aufwerfen möchte, sind nicht ganz offensichtlich. Wie wünschen Sie sich die zukünftige Entscheidungsfindung Europas?

In Bezug auf die Grundwerteverletzungen von Polen und Ungarn als ein Beispiel für offensichtliche Problemlagen der EU gibt es zwei Positionen, wie für die meisten Problemlagen Europas. Eine, die die Sanktionierung mit allen Mitteln befürwortet und eine weitere, die den Europäischen Integrationsgedanken hoch hält. Im Folgenden möchte ich ihnen gern mehrere Szenarien als Gedankenexperiment vorstellen.

An dieser Stelle ist zunächst zu sagen, dass es immer ein Stück weit auf die Sichtweise und Prioritätensetzung ankommt, denn diese Diskussion ist ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite werden immer wieder Stimmen laut, die an die Glaubwürdigkeit der EU adressieren und argumentieren, dass mit zweierlei Maß gemessen würde, wenn Mitgliedstaaten keine Konsequenzen für den Verstoß gegen die Kopenhagener-Kriterien erleben, während gleichzeitig Ländern wie der Türkei der Beitritt verwehrt wird, weil sie ebendiese Kriterien nicht erfüllen.

Im Umkehrschluss stellt sich die Frage, was im Falle eines Stimmrechtsentzugs bzw. der Möglichkeit eines Ausschlusses bei Vertragsänderung passieren würde. Dieses Gedankenspiel nimmt in meinem Kopf kein besonders gutes Ende. Selbstverständlich ist eine Vielzahl von Szenarien möglich, eines der Wahrscheinlichsten ist jedoch, dass die Regierungen der betreffenden Länder durch die Sanktionierung gestärkt, statt geschwächt würden und die Bevölkerungen eher den Regierungen statt der EU Zugeständnisse machen würde. Staatschefs suchen den Schulterschluss mit ihrer Bevölkerung, indem sie jegliche Einwirkung von Außen als Eingriff in die Staatssouveränität darstellen. So fühlt sich die Bevölkerung von übergeordneten Institutionen, wie in unserem Fall der EU, in der Staatsmacht bedroht und kehrt ihr den Rücken. Auf diese Weise würden die Regierungen von Ungarn und Polen gestärkt und die Problematik löst sich auch mit einer Sanktionsandrohung nicht auf. Darüber hinaus liegt auch der freiwillige Austritt nach dem Stimmrechtsentzug nicht fern. An dieser Stelle ist Vorsicht geboten: Die Wahrscheinlichkeit, dass Ungarn und Polen nach der Abkehr von der Europäischen Union auf ein neues Bündnis angewiesen sind, ist groß und Russland würde sich als Kooperationspartner anbieten.

Wir müssen uns also die Frage stellen, wo es mit der Europäischen Union hin gehen soll? Keine der Optionen ist wirklich des Rätsels Lösung. Während man Europäischen Bürgern den Rücken kehrt, um eine Regierung abzustrafen, weiß man gleichzeitig nicht wie man mit den Staaten weiter verfahren soll, wenn sie kein Stimmrecht mehr haben. Entzieht man ihnen das Stimmrecht, ist ein Austritt und eine Verbündung mit beispielsweise Russland nicht weit. Diese Problematik zeigt wunderbar die Vielschichtigkeit von Problemen einer solchen Union auf. Sind wir mal ehrlich, diese Problemlage ist nur EIN Brandherd von vielen, der auf der Europäischen Ebene gelöscht werden  muss. Daneben sind viele sozialpolitische Themen, wie zum Beispiel die Fragen eines europäischen Mindestlohnes oder einer europäischen Arbeitslosenversicherung sowie die Migrationsfrage zu bearbeiten, wenn die Akzeptanz der EU gestärkt werden soll. Zentral dabei ist aber eine Problemlösungsstrategie im Sinne des Europäischen Gedankens und der Gemeinsamkeiten.

Ihre Stimme für ein freiheitliches, gemeinsam gestaltetes Europa

Und hier kommen Sie ins Spiel. Mit der Europawahl am 26.05.2019 wird die Zukunft der Europäischen Union maßgeblich beeinflusst und es werden neue Lösungen für  das geschilderte, sowie die oben angerissenen Probleme diskutiert. Nun ist es an Ihnen: informieren Sie sich und geben sie Ihre Stimme für ein freiheitliches, gemeinsam gestaltetes Europa ab, dass das Verbindende und nicht die Spaltung in den Fokus nimmt. Ein Europa, das weiterhin und über die vergangenen 70 Jahre hinaus den Frieden auf unserem Kontinent sichert und ein Europa, das in einer Welt, in der Despoten, falsch verstandener Nationalismus und Spaltung salonfähig geworden sind, mit einer gemeinsamen starken Stimme spricht. Europa ist kein fernes, abgehobenes Konstrukt – Europa geht uns alle an.

 

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